Menschen handeln und Menschen entscheiden sich. Für die jeweils Lebenden scheint es leicht, ein Urteil über die Vergangenheit und ihre Menschen zu fällen. Doch bleibt uns etwas anderes, als für uns zu entscheiden, was Recht und was Unrecht ist, wenn wir aus der Geschichte lernen wollen? Freilich gehört dazu auch immer die selbstkritische Frage: „Wie hättest du in dieser Situation selbst gehandelt?“
Spricht man heute mit Zeitzeugen über Hans Gollwitzer, so sprechen manche von ihnen mit Hochachtung von ihm. Dennoch: Gollwitzer ist damals Nazi. Er ist es überzeugt. Er ist kein Mitläufer. Als Vikar noch gründet er 1929 den NSDAP-Ortsverband Mühldorf mit. Zugleich ist Gollwitzer Mitglied der „Glaubensgemeinschaft Deutsche Christen“. Als diese im Sommer 1933, mit massiver Unterstützung der NSDAP, die Kirchenwahlen gewinnen, entbrennt der Kirchenkampf. Die Bekennende Kirche mit dem 1933 von Martin Niemöller gegründeten Pfarrernotbund, versucht Widerstand gegen die Unterwanderung und Gleichschaltung der Kirchen zu leisten.
Dies gelingt nur zum Teil.
Was Bayern angeht, versucht auch hier die „Reichskirche“ die rechtmäßige Kirchenleitung in München abzulösen. Das gelingt für kurze Zeit im Oktober 1934. Für drei Wochen ist Gollwitzer, beauftragt vom damaligen „Reichsbischof“ Müller, „kommissarischer Verwalter des Bischofssitzes in München für das Reichsgebiet Altbayern“.
Der Kirchenhistoriker C.J. Roepke schreibt dazu in seinem Werk „Die Protestanten in Bayern“: „Die DC gründete im Jahre 1935 in München einen Untergau Hochland; hier erwies sich der ehemalige geistliche Kommissar Pfarrer Hans Gollwitzer in Mühldorf, als ein unverbesserlicher Nationalsozialist, der überhaupt nicht daran dachte, sich der Meiser‘ schen Kirchenleitung unterzuordnen.“
In diesen Tagen wird Gollwitzer zum ersten Mal die Ehrenbürgerwürde der Stadt Mühldorf verliehen. Dann wird der damalige Landesbischof Meiser durch protestierende fränkische Bauern wieder in sein Amt gebracht. Müller zieht die Berufung wieder zurück, „um die Rechtslage zu klären“, wie es heißt.
Mit Wirkung vom 4. Juli 1935 wird Hans Gollwitzer durch die Kirchenleitung in München aus dem Dienst entlassen. Der Kirchenvorstand protestiert damals gegen diese Entlassung, doch ohne Wirkung.
Gollwitzers Geschichte in Mühldorf ist damit nicht zu Ende. Am 26. Feb. 1937 wird er zum Bürgermeister der Stadt Mühldorf bestellt. Aus der evangelischen Kirche tritt er 1939 aus.
Er bleibt Bürgermeister, zunächst bis Kriegsende. Die Erzählungen von Zeitzeugen schildern ihn als den, den Mühldorf kampflos den Amerikanern übergibt und so eine Zerstörung der Stadt verhindert. Doch scheint dies eine geschönte Version des Geschehens wiederzugeben (Gollwitzer war in seiner Ruhestandszeit auch ehrenamtlicher Stadtarchivar). Die in Mühldorf einfahrenden Panzer haben den einsamen Mann auf dem Stadtplatz wohl kaum beachtet.
Gollwitzer wird 1952 erneut zum Bürgermeister der Stadt Mühldorf gewählt.
Er hat diese Amt bis 1966 inne.
Am 14. Januar 1974 wird er erneut zum Ehrenbürger ernannt.
Er stirbt im Jahr 1979.
Noch heute ist in Mühldorf eine Straße nach ihm benannt.